Im Zodiac durch die Kristensen Rocks

Es war nicht der Wind, der mich zuerst traf. Es war das Staunen. Der Wind kam später – von vorn, von hinten, von überall. Er schien persönlich beleidigt, dass wir uns mit einem kleinen Schlauchboot – einem Zodiac, kaum größer als ein Gummientenbad – in seine Kathedrale aus Stein und Wasser wagten.

Kristensen Rocks. Man muss die Namen aussprechen, als würde man sie mit Salz gurgeln. Scharfkantig. Knapp. Ehrlich. Kein Ort für Zierliches. Diese Felsnadeln ragen aus dem Wasser wie gebrochene Speerspitzen, schwarz, schimmernd, gezeichnet von Zeit und Sturm. Die See brodelte. Nicht wütend – nur gleichgültig. Wir waren Gäste ohne Einladung.

Das Zodiac tanzte zwischen den Felsen wie ein Kind zwischen Elefantenbeinen. Ich erinnere mich an das Plätschern des Wassers – wenn man das Wort „Plätschern“ mit dem Donner eines Vorschlaghammers ersetzen darf. Ich hielt mich fest, nicht nur am Boot, sondern auch an der Fassung.

Dann kam er in Sicht: Dickson Pillar. So seltsam aufrecht, als hätte sich ein vergessener Riese mit letzter Kraft aus dem Meer erhoben, um etwas zu sagen – und dann einfach nie mehr gesprochen. Eine dunkle Nadel gegen den bleichen Himmel. Kein Kreuz, keine Fahne, keine Tafel. Nur Fels. Und das Gefühl, dass dieser Ort nichts vergisst.

Ich fragte mich, wer wohl zuerst hier durchgefahren war. Vielleicht Carl Anton Larsen, der alte Norweger, der den Felsen Namen gab, als wäre das genug, um sie zu zähmen. Ich vermute, der Ozean hat darüber nur gelacht. Seine Antwort sind Gischt, Kälte und 40 Knoten Seitenwind.

Zwischen den Felsen wurde es still. Nicht weil der Sturm nachließ – sondern weil mein Kopf plötzlich leer war. Kein Gedanke, keine Worte. Nur das Bewusstsein, dass ich mich gerade durch etwas bewege, das älter ist als Erinnerung. Und das sich keinen Deut um meine Existenz schert.

Ich streckte kurz die Hand ins Wasser. Es war, als würde man die Haut in flüssige Zeit tauchen. Eiskalt. Ehrlich. Und wunderschön. Nicht im Sinne von Postkarten – sondern im Sinne von Ehrfurcht. Ein Ort, an dem man nichts mitnimmt, außer Demut.

Als wir wieder aus dem Labyrinth der Felsen hinaustrieben, drehte ich mich noch einmal um. Dickson Pillar stand da wie ein Mahnmal ohne Inschrift. Kristensen Rocks warteten schweigend auf den nächsten, der sich durch ihre steinerne Stille wagt. Ich wünschte ihnen Glück. Und warme Handschuhe.

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